Die Herren der Raketen
2. Sächsischer Modellraketen-Treff, 16.-18.8.2002

Noch immer kaum bekannt, doch immer beliebter ist der Modellraketenbau. Eine kleine Fangemeinde baut Originalraketen nach und freut sich über jeden gelungenen Start. Das in Deutschland nach wie vor streng beauflagte Hobby - es geht dabei vor allem um den Gebrauch kampfmittelfähiger Raketenmotoren - kann sich nur selten voll austoben. So unter anderem auf dem 2. Sächsischen Modellraketentreff (SMRT) am 17./18. August 2002 in Burkersdorf bei Frauenstein (Sachsen/Ostdeutschland). 

Frauenstein. An Raketen herrscht kein Mangel. Motoren sind auch da. Ein Händler aus der Schweiz hat die amerikanischen Fabrikate mitgebracht. In Deutschland sind sie verboten. Nur dank einer Sondergenehmigung dürfen an jenem Augustwochenende in Burkersdorf bei Frauenstein (Sachsen) die mitunter mannsgroßen Flugkörper in den Himmel düsen. Die Bundesanstalt für Materialforschung (BAM) hat ihr O.K. gegeben. Sonnenschein und gute Laune herrschen auf dem 2. Sächsischen Modellraketentreff (SMRT). 

Allein das Startgelände, eine große Wiese, ist wenige Tage nach den sintflutartigen Regenfällen ein Sumpf. In Stiefeln tragen die Herren der Raketen - aus Deutschland, Dänemark und der Schweiz sind sie angereist - ihre Modelle zu den Startrampen. Röhren aus Blech, Holz, Kunststoff oder Pappe. Die Dänen, mit dem Fernsehen im Schlepptau, bauen sogar ein riesiges Startgerüst für eine Experimentalrakete auf. Sie hat eine Kamera an Bord und zeichnet den Flug auf. Doch am Startpult steht nur einer. Tommy Biro. Legt er den Schalter um, geben 5 Volt Strom den Zündimpuls. Biro zählt den Count Down herunter und ruft zuletzt „Ignition" (Zündung).

Zählen, Zünden - das ist Kult. Das gehört dazu. Biro, 26 Jahre alt und im normalen Leben Rezeptionist aus Sachsen, ist Organisator des Treffens. „Mit 16 bin ich auf den Modellraketenbau gestoßen", sagt er. Mit kleinen Modellen hat er angefangen, dann mit Bausätze (Kit) gebastelt. Seit Deutschland vor einigen Jahren wenigstens ausnahmsweise auch große Raketen zulässt, ist Biro so richtig in seinem Element. „Das war wie eine Initialzündung für die Raketenbauerszene." Zuvor hatte sich der gebürtige Chemnitzer von Dany Flury auf einem Flugtag von Argos (Advanced Rocketry Group of Switzerland) anstecken lassen. 

Zumindest das Gesicht von Dany Flury ist weit über die Grenzen der Schweiz hinaus bekannt, seit er bei der Spiegel-TV-Reportage über das Raketenfliegen in Neuchâtel (Schweiz) als Mann am Startpult über die Bildschirme flimmerte. Bekannt ist nun auch sein deutscher Kollege Stefan Wimmer. Der Berliner, Mitglied der Deutschen Experimental Raketen Arbeitsgruppe (DERA), hatte seine Rakete aus einem fernen Acker apportieren müssen. In Burkersdorf ist er der Fachmann für die High-Tech-Pyrotechnik. „Mit den Motoren, die wir heute hier verwenden, sind auch die Booster des Space Shuttles gefüllt", sagt Wimmer. Dass heute mit derlei leistungsstarken Material gearbeitet wird, geht nur, weil er behördlich normierte Sprengstoffkurse belegt hat. Alles,
was starten soll, geht durch seine messerscharfe Kontrolle. Daher müssen auch die Polizeibeamten wieder abziehen, die, von übereifrigen Anwohnern alarmiert, nach der Zulassung fragen.

Zur Freude der Raketenbauer. Je der Start wird beklatscht. Fehlstarts kommen vor und mancher Fallschirm, an dem die kostbare Raketenhülse normalerweise zu Boden gleitet, öffnet nicht. Dank des gebotenen Sicherheitsabstandes bohren sich die „Spikker" aber weitab von den Zuschauern in die Wiese. „Ärgerlich ist nur, dass die Hülle dann meist hin ist", erklärt Wimmer. Der Höhenrekordhalter des Tages kann indes aufatmen. Seine Rakete baumelt am Landeschirm und treibt in ein Getreidefeld. Zuvor ist sie 800 Meter hoch gerast, aus dem Blick verschwunden. „Anruf von der NASA: Unbekanntes Flugobjekt auf Mondumlaufbahn", spaßt das bunte Auditorium, Familien mit Kind und Kegel. 

Ein friedliches Bastlertreffen geht auf seinen vorläufigen Höhepunkt zu. Ralf Stabroth und Sohn machen ihre Saturn 5 Rakete startklar, während Wimmer über jene den Kopf schüttelt, die glauben, nur Kriegstreiber und Terroristen würden sich mit Raketen beschäftigen. „Uns geht es nur um den Spaß. Das ist ein Hobby. Andere spielen Skat oder Fußball." Basteln, testen, fachsimpeln, Ausrüstungen austauschen - das allein treibe die Leute an. Wimmer: „Wir schießen nicht, wir fliegen." Mancher guckt auch einfach nur. Wie Alfred Kappl. Für das nicht alltägliche Ereignis hat er sich den Weg von Wien durchs Hochwasserkatastrophengebiet ins Erzgebirge gebahnt. Der Österreicher arbeitet bei einem Sprengstoffhersteller, ist Hobby-Feuerwerker und bildet als Chemiker und Sprengstoffexperte an der Höheren technischen Bundeslehr- und Versuchsanstalt in Wien Feuerwerker aus. Vom Modellraketentreff hat er im Internet erfahren.

Über das Internet halten auch die Mitglieder der kleinen Modellraketengemeinde Kontakt zueinander. Mancher treibt sich nicht nur in Foren herum, sondern stellt gleich seine ganze Planerwerkstatt ins Netz. So kann jeder online nachvollziehen, wie viel Zeit und Herzblut etwa Raketenbauer Rolf Stabroth in den originalgetreuen Nachbau jener Rakete gesteckt hat, die einst die ersten Menschen zum Mond brachte. „250 Stunden gedrechselt, geklebt, gepinselt", sagt der 51-jährige Halberstädter, der auch beruflich ein Faible für schlanke Röhren hat; er ist Klarinettist beim Nordharzer Städtebund-Theater. Aufgeregt setzt er seine Saturn 5 auf die Rampe und schaltet den musikalisch untermalten Count Down ein. Für den Erststart hat er eigens einen Count-Down-Sound-Koffer gebaut. Nicht umsonst. Das Raketenmodell hebt kerzengerade ab. Mit einem Tosen wie sein großes Vorbild. 

Stabroths Garage ist die Raketenwerkstatt. Neben der amerikanischen Saturn-Rakete ist dort eine russische N1 „Herkules" entstanden. „Mit der war ich auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtaustellung (ILA) in Berlin. Ein Russe wollte sie mir für 5000 Dollar abkaufen", berichtet Stabroth stolz. Er habe abgelehnt. Modellbauerehre. Auch Sohn Sebastian ist da unbestechlich. Der 24-Jährige hat sich von seinem Vater anstecken lassen und konstruiert fleißig mit. Inzwischen studiert er an der Technischen Universität Braunschweig Luft- und Raumfahrttechnik - was sonst. „Er ist für die wissenschaftlichen Grundlagen zuständig - Bahnphysik, Strömungsmechanik, Flugstabilität ...", erläutert Rolf Stabroth die Arbeitsteilung. Derweil kann sich seine Frau schon auf die nächste Rakete freuen: „Als nächstes baue ich eine Sojus."

Weiterführende Informationen:

Offizielle SMRT-Webseite
Bilder vom SMRT 2 und Infos zum SMRT 3


Literatur:

Das deutschsprachige Standardwerk zum Modellraketenbau: „Fliegende Modellraketen
- selbst gebaut
", Oliver Missbach, Oliver Missbach/Edition Countdown, München 2001.

Text: Martin Schramme, 15.10.02
Martin Schramme ist Journalist aus Halle und kann über masche@hotmail.com erreicht werden. Seine Webseite findet sich auf http://www.geocities.com/marbella2de/Indexmas.htm

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