Von Zingst in die Hochatmosphäre

Vorgeschichte

Gegen Ende der 60er Jahre begann man sich auch beim Wetterdienst der damaligen DDR für die Verwendung von Raketen für meteorologische Forschungszwecke zu interessieren. Deshalb wurden vom Wetterdienst der damaligen DDR 5 polnische Raketen vom Typ „Meteor 1“ ( Gipfelhöhe 35 km) gekauft und vom NVA – Übungsplatz Zingst gestartet. Doch war dieser Raketentyp für weitere Versuche ab 1971 nicht mehr verfügbar, dann die Herstellung der „Meteor 1“ wurde 1971 eingestellt.

Daraufhin begann man mit der Eigenentwicklung von Raketen. Es wurden verschiedene Modelle entwickelt und erprobt, von denen allerdings keines höher als 3 Kilometer fliegen konnte. Erst in der zweiten Hälfte der 80er Jahre war wieder in der DDR an den Start von meteorologischen Raketen zu denken, als im Rahmen des Interkosmosprogramms russische Raketen des Typs MMR06-M mit einer Gipfelhöhe von 80 Kilometern verfügbar wurden.

Für den Start dieser Raketen wurde auf dem NVA – Übungsplatz Zingst eine Abschussrampe aufgestellt, von der aus am 21.10.1988 der erste Start erfolgte. Obwohl dieser Flug, wie die sechs nächsten weiteren kein Erfolg war, weil der Fallschirm der Messsonde nicht aufging, begann man im April 1989 mit den planmäßigen Startbetrieb.

Startnummer

Datum

Uhrzeit MEZ

Bewertung

Gipfelhöhe in Kilometern

Erde Empfang

in Sekunden

Bemerkung

1

21.10.1988

14.35

experimentell

keine Angaben

8

AES - R defekt

2

1.11.1988

14.01

experimentell

67

360/570

Sonde fiel ungebremst

3

4.11.1988

14.20

experimentell

43,1

250

Sonde fiel ohne Fallschirm

4

8.11.1988

14.11

experimentell

78,3

637

Sonde fiel ungebremst

5

22.11.1988

14.20

experimentell

52,9

590

Sonde fiel ungebremst

6

23.11.1988

14.00

experimentell

75,6

658

Sonde fiel ungebremst

7

7.4.1989

13.00

Ausfall

72

620

Sonde fiel ungebremst

8

12.4.1989

13.00

Teilerfolg

75,8

4420

ab 776 s Ausfall T1, Tk

9

26.4.1989

13.40

Teilerfolg

74,5*

4319

 

10

10.5.1989

13.10

Erfolg

74,3

4210

 

11

24.5.1989

13.10

Teilerfolg

55x

3299

sehr frühes Fading

12

21.6.1989

13.30

Teilerfolg

76,9*

678

Ausfall Thermistore ab 60 s, nach 678 s Ausfall des Senders

13

6.9.1989

13.38

Erfolg

74

3778

 

14

10.10.1989

14.10

Erfolg

73,5*

3780

T2 befindet sich nicht in der Mitte, eventuell Fehler durch Wärmeleitung

15

18.10.1989

14.00

Teilerfolg

74,3*

2489

Fallgeschwindigkeit der Sonde ist zu groß

16

1.11.1989

14.00

Ausfall

35

480

späte Trennung des Darts vom Motor

17

8.11.1989

14.10

Ausfall

73,1

620

Sonde fiel ungebremst

18

8.12.1989

14.00

Erfolg

75,3

3223

 

19

20.12.1989

14.40

Erfolg

78*

2205

Schutzkappe erst nach

135 s abgeworfen

20

10.1.1990

14.00

Erfolg

74,8*

3467

 

21

19.1.1990

14.00

Ausfall

55

514

schlechte Trennung des Darts vom Motor

22

14.2.1990

14.00

Teilerfolg

79,4*

2437

Fallgeschwindigkeit der Sonde ist zu groß, Schutzkappe erst nach

168 s abgeworfen

23

21.3.1990

14.20

Teilerfolg

65*

2655

T2 Festwiderstand

24

28.3.1990

15.00

Erfolg

74,3*

4296

 

25

9.5.1990

13.00

Teilerfolg?

74,5*

4061

T2 Festwiderstand

26

11.5.1990

13.00

Erfolg

74,3*

4467

T2 Festwiderstand

27

30.5.1990

13.00

Erfolg

74,4

4271

 

28

8.6.1990

13.00

Erfolg

65,7*

3242

 

29

13.6.1990

13.00

Erfolg

76,4*

3826

sowjetischer Thermistor

30

20.6.1990

13.10

Erfolg

77,1*

4292

sowjetischer Thermistor

31

12.9.1990

13.00

Teilerfolg

77,2

1260

Riß am Fallschirm

32

26.9.1990

13.00

Teilerfolg

79*

4010

Fallgeschwindigkeit der Sonde ist zu groß

Abriß von Tk, das heißt nur Windmessungen möglich

33

5.10.1990

14.00

Ausfall

38,4

530

keine Trennung  des Darts vom Motor, Fallschirmausstoß in 25,9 km Höhe

34

12.10.1990

14.00

Ausfall

52,8

0

keine Trennung des Darts vom Motor, Sonde Totalausfall

35

17.10.1990

14.00

Teilerfolg

77,1*

1790

 

36

17.10.1990

14.40

Teilerfolg

79,5*

1136

Fallschirm arbeitete stark vermindert

37

2.11.1990

14.00

Ausfall

42

592

keine Trennung des Darts vom Motor, kein Sondenausstoß

38

2.11.1990

14.40

Ausfall

74*

256

kein Sondenausstoß

39

23.11.1990

14.00

Erfolg

68

2199

 

40

5.12.1990

14.30

Ausfall

74,9

605

 

41

14.12.1990

14.00

Teilerfolg

72*

1900

HW - Registrierung am

AES - R defekt

42

19.12.1990

14.00

Ausfall

65,5

600

Sonde fiel ungebremst

43

19.12.1990

14.30

Ausfall

71

648

Sonde fiel ungebremst

44

14.2.1992

8.50

Erfolg

69,9*

3729

 

45

19.2.1992

8.45

Erfolg

73,4*

3992

 

46

21.2.1992

8.30

Ausfall

76,7

625

Sonde fiel ungebremst

47

26.2.1992

8.30

Teilerfolg

54,6*

1811

schlechte Begleitung ab 1595 s

48

26.2.1992

9.50

Erfolg

53,6*

3074

 

49

28.2.1992

8.31

Ausfall

69,8*

580

Sonde fiel ungebremst

50

6.3.1992

8.32

Ausfall

49,3

570

keine Trennung des Darts vom Motor, Fallschirm arbeitet nicht

51

6.3.1992

9.24

Ausfall

79,6*

625

Sonde fiel ungebremst

52

11.3.1992

8.32

Ausfall

76,4*

559

Sonde fiel ungebremst

53

11.3.1992

9.27

Ausfall

73,7

599

Sonde fiel ungebremst

54

20.3.1992

8.40

Ausfall

36,6

535

keine Trennung des Darts vom Motor

55

20.3.1992

9.58

Erfolg

74,6*

3993

 

56

25.3.1992

8.32

Teilerfolg

51,3

1771

schlechte Trennung des Darts vom Motor, Fallschirm hat nicht vollständig geöffnet

57

25.3.1992

9.25

Ausfall

keine Angabe

0

kein Signal ab Start

58

27.3.1992

8.33

Erfolg

72,9

4317

 

59

1.4.1992

7.33

Ausfall

52

589

schlechte Trennung des Darts vom Motor

60

3.4.1992

7.30

Ausfall

keine Angabe

258

kein Sondenausstoß

61

3.4.1992

8.20

Ausfall

75*

595

Sonde fiel ungebremst

62

10.4.1992

7.30

Erfolg

66,7

4054

 

* Die Gipfelhöhe wurde zeichnerisch abgeschätzt

x Die Gipfelhöhe liegt oberhalb des angegebenen Wertes 

Startliste (nach Unterlagen des Instituts für Atmosphärenphysik in Kühlungsborn). Das in dieser Liste erwähnte AES-R ist das Radargerät der Bodenstation.

Die Rakete MMR06-M 

Die Rakete MMR06-M ist eine ungelenkte Feststoffrakete mit einem Startgewicht von 121,8 Kilogramm (wovon 78 Kilogramm auf dem Treibstoff zurückgehen). Sie besteht aus zwei Teilen: der Antriebsstufe mit dem Treibstoff und dem Dart mit der Nutzlast. Kurz nach Brennschluß in 5 Kilometer Höhe wird der Dart von der Antriebsstufe getrennt. Er steigt in Folge seiner besonders günstigen aerodynamischen Form (cW – Wert = 0,15) in eine Höhe von bis zu 80 Kilometern, während die Antriebsstufe mit ihren cW – Wert von 0,42 nur eine Höhe von 35 Kilometern erreicht.

MMR06-M Rakete auf der Abschussrampe in Zingst (Quelle: Herr Dr. Gloede)

Startende MMR06-M Rakete. Die schlanke Spitze auf dem Flugkörper ist der sogenannte Dart mit der Messsonde (Quelle: Herr Dr. Gloede)

Am Gipfelpunkt der Flugbahn wird aus dem Dart die Messsonde ausgestoßen, die an einem Fallschirm landet. Sie enthält einen Telemetriesender zur Übertragung der Lufttemperatur, die während des Abstiegs der Sonde am Fallschirm mit Hilfe von temperaturempfindlichen Widerständen gemessen wird und einen Transponder, der auf das Signal der Bodenstation einen Antwortimpuls abstrahlt, aus dessen Laufzeit die Entfernung bestimmt werden kann.

Ferner ermöglicht dieser Sender auch die Peilung der Sonde zur Bestimmung der Windstärke und –richtung in Abhängigkeit von der Höhe. Die Hülle des Darts und die Antriebsstufe stürzen nach Beendigung der Mission ungebremst zu Boden.

Flugbahn von Rakete und Dart

Nur wenig Platz vorhanden

Damit beim Niedergang der Antriebsstufe und des Darts keine Personen zu Schaden kommen und keine Sachwerte beschädigt oder zerstört werden, wurde vor der Küste der Halbinsel Zingst während der Starts ein Seesperrgebiet eingerichtet, welches von einem Boot des Bundesgrenzschutzes überwacht wurde. Dieses Sperrgebiet war verhältnismäßig klein.

Es maß in Schussrichtung 23,6 Kilometer und quer dazu 25,5 Kilometer (Die Raketen wurden in Richtung Nordwest gestartet. Der anvisierte Zielpunkt lag 9,7 Kilometer von der Startstelle entfernt).

Übersichtskarte des Startgebiets vor der Küste von Zingst (Ausschnitt aus einer Seekarte, die manuellen Eintragungen stammen von Herrn Dr. Gloede, einem ehemaligen Mitarbeiter des Wetterdienstes der früheren DDR, der die wissenschaftliche Leitung über die Abschüsse hatte)

Da ein Niedergang von Rakete und Dart außerhalb dieses Gebiets unter allen Umständen vermieden werden musste, war es notwendig den Winkel unter den die Rakete gestartet wurde, mit großer Sorgfalt festzulegen. Es war nur eine Toleranz von 2 Grad zulässig, denn schon ein Fehler von 1 Grad verschob den Niedergangspunkt des Darts um 5 Kilometer!

Da die MMR06-M über kein Steuerungssystem verfügt, muß der Windeinfluß auf die Flugbahn der startenden Rakete sorgfältig berücksichtigt werden. Er ist kurz nach dem Start, wenn die Geschwindigkeit des Flugkörpers noch relativ gering ist, am größten.

Um ihn zu bestimmen wurden während der letzten Stunde vor dem Start zu genau fest gelegten Zeitpunkten mehrere gasgefüllte Ballons gestartet, deren Flugbahn optisch und mit Radar vermessen wurde. 

Durchführung

Wie man der Startliste entnehmen kann, wurden bis Dezember 1990 43 Raketen gestartet, von denen 13 ihre Mission erfolgreich durchführten.

Bei keiner Mission gingen der Dart oder die Antriebsstufe außerhalb des Sperrgebiets nieder. Vom Dezember 1990 bis Februar 1992 wurden von Zingst keine Raketen gestartet, denn man hielt es für notwendig das aus DDR Zeiten stammende Verfahren zur Bestimmung des korrekten Abschusswinkels neu zu bestimmen.

Eine zweite Startserie mit 19 weiteren Raketen folgte von Februar 1992 bis April 1992. Obwohl noch funktionsfähige Raketen vorhanden waren, konnte nach dem 10.4.1992 kein Abschuß mehr durchgeführt werden, da die Bundeswehr ihre Liegenschaften in Zingst aufgab und ohne die Hilfe der Streitkräfte nicht mehr für die nötigen Sicheheitsmaßnahmen gesorgt werden konnte. 

Literatur: Meteorologische Raketen in Deutschland von Herrn H. – U. Widdel (Herausgeber: Deutsche Raumfahrtausstellung in Morgenröthe – Rautenkranz e.V.)

Internet: http://www.modellraketen-forum.de/board/messages/23/1990.html?1023803116  

Quellen: Herr Dr. Gloede, Institut für Atmosphärenphysik in Kühlungsborn

Text und Fotos Harald Lutz, 19.9.02

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