Modellraketen in Deutschland und weltweit - Geschichte eines Hobbies
Raketen selber gibt es bereits seit sehr langer Zeit. Die Chinesen begannen bereits 700-800 n. Chr. mit der Entwicklung von schwarzpulverangetriebenen Raketen. Unsere Modellraketen sind dann doch etwas jünger, aber auch hier können wir inzwischen schon auf eine lange Tradition zurückgreifen.
Modellraketenflug entstand in den 50er Jahren im Zuge der Raumfahrtentwicklung. Amerika befand sich im Raumfahrtrausch und viele, vor allem junge Amerikaner begannen, die Entwicklung zur Raumfahrtnation selber nachzuvollziehen. Die sog. Basement Bombers entwicklten eigene Treibstoffrezepturen und es kam dabei zu schwerwiegenden Unfällen. Schlagzeilen wie "Schüler bei Raketentest verletzt" waren keine Seltenheit.
Harry Stine, damals Sicherheitsoffizier beim amerikanischen Raketentestgelände in White Sands, machte sich daher Gedanken über die Entwicklung sicherer Antriebe. Die Lösung erhielt er vom Schuhverkäufer Orville Carlisle, der ihm eine fast vollständig aus Papier gefertigte Modellrakete samt einem Feststofftreibsatz auf Schwarzpulverbasis zuschickte. Beide gründeten 1958 die National Association of Rocketry (NAR), dem noch heute führenden Verband in den USA für Modellraketenflug.
Unterstützung erhielten sie auf kommerzieller Seite von Vern Estes, der im US-Bundesstaat Colorado eine eigene Treibsatzproduktion aufzog. Seine "Marble" genannten Fertigungsmaschinen waren in der Lage, vollautomatisch Motoren herzustellen. Sie sind bis heute im Einsatz und haben mittlerweile über 400 Millionen Treibsätze gefertigt. Jährlich stellt alleine seine Firma Estes Industries über 10 Millionen Motoren her.
Die Idee war geboren und die NAR stellte einen bis heute gültigen Sicherheitskodex auf, der zwei Kernthesen hatte: erstens, Verwendung fertiger Feststoffmotoren, zweitens, ausschließlich leicht zerbrechliche Bauteile ohne Metall wie Pappe, Balsaholz oder Plastik.
Vor allem Harry Stine stellte auch die Weichen für eine Internationalisierung des Hobbies. Er knüpfte beispielsweise Kontakte zu Otakar Saffek in der damaligen CSSR und zu anderen Kollegen in Osteuropa. Aus politischen Gründen kam dabei dem Weltluftsportverband FAI eine wichtige Rolle zu. Anders als in Nordamerika wurde in Osteuropa besonderes Gewicht auf den leistungssportlichen Bereich des Hobbies gelegt, dem Modellraketensport.
Unter dem Dach der FAI entstand ein eigenes Regelwerk und es fanden ab 1972 regelmäßig internationale Wettbewerbe statt. Die Verknüpfung mit dem Leistungssport erlaubte es auch den osteuropäischen Kollegen, ihr Hobby zu betreiben und Kontakte in den Westen zu halten. Auch die NAR entwickelte parallel ein Wettbewerbsreglement (das sog. Pink Book), allerdings behielten in den USA im Gegensatz zu Osteuropa andere Modellraketenthemen die Oberhand und der Modellraketensport wurde hier nicht so populär wie dort.
Auch in Deutschland entwickelte sich der Modellraketenflug ab den 50er Jahren parallel zur Raumfahrtentwicklung. Anders als in den USA dauerte es jedoch bis in die 80er Jahre, bis die ersten eigenen Modellraketenvereine gegründetet wurden. Bis dahin wurde der Modellraketenflug als Unterabteilung anderer Organisationen eher stiefmütterlich behandelt. Das hat die Entwicklung stark verlangsamt und ein Ergebnis ist, daß bis heute die gesetzliche Herausforderungen unzureichend sind.
In den USA wuchs die NAR schnell auf über zehntausend Mitglieder an und es gründeten sich in vielen Bundesstaaten lokale Vereine, die sich vor Ort um die Mitgliederbetreuung kümmerten. Die NAR agierte erfolgreich als Lobbyverband und es gelang ihr schon in den 60er Jahren, Modellraketentreibsätze als Toy Propellant (Spielzeugfeuerwerk) zu klassifizieren und damit auch Kindern und Jugendlichen den Zugang zu den Motoren zu ermöglichen. Die Folge waren der starke Rückgang von schweren Unfällen, da kein Jugendlicher mehr gezwungen war, Treibsätze im Eigenbau herzustellen. Als Spielzeugfeuerwerk konnten die Motoren relativ problemlos transportiert und in Geschäften bereits ab 12 Jahren frei verkauft werden, wodurch sie in großen Mengen relativ preiswert produziert und angeboten werden konnten. Diese Entwicklung öffnete auch die Türen, um Modellraketen im großen Stil in den Unterricht amerikanischer Schulen und Jugendorganisationen aufzunehmen und dem Hobby damit zu einem landesweiten Durchbruch zu verhelfen.
Diese Entwicklung blieb in Deutschland bis heute leider aus und die Motoren sind –wie ganz früher in den USA- immer noch den regulären Sprengstoffklassen zugeordnet. Neben dem Mangel an geeigneten Organisationsformen spielte sicher auch eine Rolle, daß lange kein kommerzieller Durchbruch gelang. Verschiedene Anläufe in den 70er Jahren, Estes-Produkte über bekannte Firmen wie Schuco oder Mattel in Deutschland zu etablieren, scheiterten. Allerdings gab es schon seit den 70er Jahren eine eigene Produktion von Modellraketen in Deutschland. Die Firma PSN des Nürnberger Modellraketenfliegers Lambert Schelter vertrieb sehr erfolgreich vor allem Fertigmodelle, die in vielen Geschäften erhältlich waren.
Ende der 70er Jahre begann die kleine Firma ESE von Wolfgang Carstens damit, US-Importe in Deutschland wieder einzuführen. Wolfgang Carstens versuchte, das Hobby vor allem über die Modellflugvereine populär zu machen, was nur teilweise gelang. Trotzdem war diese Phase ein Startsignal, dem die Gründung der ersten speziellen Modellraketenvereinen folgte, die größtenteils lokal ausgerichtet waren, wie der FMC Saturn e.V. in Schleswig-Holstein, der WASA in Traunstein oder der MMV e.V. in München.
Im Wettbewerbsbereich, dem Modellraketensport, gab es erstmals deutsche Teilnehmer auf internationalen Veranstaltungen. Die ersten Wettbewerbe fanden statt, z. B. der erste deutsche FAI-Wettbewerb im August 84 in Stellau/Schleswig Holstein, ausgerichtet vom FMC Saturn. Auf Modellbaumessen wurden Modelle ausgestellt und für Kinder und Jugendliche Bastelwettbewerbe organisiert. Attraktion der Modellbau 1988 etwa war die 5,40 Meter hohe und nur knapp 5 kg schwere Ariane von Lambert Schelter auf dem Ausstellungsstand des MMV, die damals die Schlagzeilen von der örtlichen Presse bis zum ZDF Heute-Journal beherrschte.
Großes Ariane-Modell auf der Modellbau Dortmund 1988
Ein Problem war bis dato die Literatur, denn es gab praktisch kaum welche im deutscher Sprache. Hermann Langkrär hatte im August 1969 ein selbstverlegtes und handgeschriebenes 24seitiges Werk mit dem Titel Grundlagen des Raketen-Modellbaus herausgegeben, das sich hauptsächlich aber mit der theoretischen Grundlage und den Berechnungen beschäftigte und die Praxis außen vorlies. 1979 kann ein weiteres Buch zum Thema heraus, das Handbuch des Raketenmodellbaus, das auch umfangreicher auf die Bautechnik einging.
Es handelte sich um eine von Wolfgang Carstens übersetzte Kurzversion des populären Buches Handbook of Model Rocketry von Harry Stine, das inzwischen in den USA zum Standardwerk wurde.1988 erschien dann im Pflaum Verlag München mit dem Titel "Fliegende Modellraketen – selbst gebaut" vom Autor dieses Artikels das erste professionelle Buch eines deutschsprachigen Autors zum Thema Modellraketen. Die Erstauflage ist vergriffen, die zweite Auflage erschien 2001.
Buch Fliegende Modellraketen – selbst gebaut, Erstauflage 1988
Wolfgang produzierte auch in den späten 70er Jahren ein kleines Nachrichtenblatt, das leider nur in wenigen Ausgaben erschien. Im Februar 1984 erstellte der Autor dieses Artikels für die damalige Münchner Modellraketengruppe die kleine Zeitschrift Countdown und im Juni ´84 die erste Nummer des Vereinsblattes Raketenmodell Magazin. 1986 erschien im Januar erstmals mit dem Countdown Magazin ein unabhängiges deutschsprachiges Fachblatt, in dem auch der bisherige Countdown aufging. Es wurde von Karl Gum, Modellraketenflieger seit den 60er Jahren und Mitglied der ersten deutschen Nationalmannschaft bei einer FAI-Weltmeisterschaft, sowie vom Autor dieses Artikels herausgegeben. Countdown erschien regelmäßig bis 1990 und ist heute als Internetmagazin zu finden.
Titelbild der Countdown-Ausgabe 3/88
International spielte Deutschland wie auch das übrige Westeuropa bis in die 80er Jahre keine große Rolle und die großen Meisterschaften fanden hauptsächlich in Osteuropa und gelegentlich in den USA statt. Bei Veranstaltungen in Deutschland gab es demnach kaum internationale Beteiligung. Das änderte sich erst 1988, als im Juni bei Traunstein in Südbayern mit dem Modellraketen Festival erstmals eine große internationale Veranstaltung durchgezogen wurde. Auf Anhieb gelang es den Organisatoren WASA und MMV, Teilnehmer aus acht Nationen zu gewinnen, darunter viele aus dem damals noch existierenden "sozialistischen" Ländern.
Modellraketen-Festival 1988: Karel Pecka (CSSR) mit einem fliegenden Ofen
Dabei hatten die Veranstalter ein sehr ungewöhnliches Konzept gewagt, das sich von den bisherigen Wettbewerben stark abhob und richtungsweisend wurde. Nicht nur die auf Wettbewerbe spezialisierten Modellraketensportler sollten angesprochen werden, auch die nicht sportlich interessierten Modellraketenflieger sollten eine Plattform erhalten. Programmpunkte wie Bastelshops, Diskussionsforen, Nachtflüge und Abendveranstaltungen unterstrichen dies. Durch ein großes Bierzelt wurde außerdem die Bevölkerung eingebunden und somit eine Veranstaltung für alle geschaffen. Das Konzept ging auf und es fanden insgesamt 3 sehr erfolgreiche Festivals statt, die immer mehr Teilnehmer anlockten.
Modellraketen-Festival 1988 – Bastelshop
Einladung zum Modellraketen-Festival 1990
In den 90er Jahren kam es in den USA zum High-Power-Boom. Plötzlich war nicht mehr der D-Motor das höchste der Gefühle, sondern ein G oder H. Viele, meist kleinere Firmen wurden gegründet und es entstand neben der NAR mit der TRIPOLI ein eigener High-Power Verband. Auch in Europa entwickelte sich in den letzten Jahren eine High-Power Szene, vor allem auch in Ländern, in denen es bis dato noch recht wenig Modellraketenflug gab. Gleichzeitig wurden in vielen Ländern die Gesetze liberalisiert, was auch dem Standard-Modellraketenbau großen Auftrieb brachte. Stellvertretend soll hier nur Großbritannien erwähnt werden, wo es heute relativ problemlos möglich ist, in vielen Geschäften Modellraketentreibsätze und Modelle zu erwerben. Dort wie auch anderswo entstanden neue lokale Clubs und landesweite Organisationen.
Auch die politische Wende in Osteuropa brachte Veränderungen. Erstmals konnten sich Kollegen aus Ost- und Westeuropa ohne bürokratische und politische Schwierigkeiten frei treffen. In Deutschland war es erstmals möglich, mit den Kollegen aus Ostdeutschland zusammenzutreffen. Aber gleichzeitig kam es auch zu einem Rückgang der Aktivitäten in vielen osteuropäischen Ländern, da sich der Staat aus der Finanzierung und Organisation zurückzog. Die Wettbewerbe verloren stark an Teilnehmerzahlen und viele Kollegen zogen sich aus wirtschaftlichen Gründen ins Privatleben zurück.
In der Bundesrepublik kam es wegen interner Differenzen zu einem Rückgang der Aktivitäten. Wegen der fehlenden Strukturen und der kaum vorhandenen bzw. oft auch untätigen Vereine blieben die gesetzlichen Bestimmungen auf dem Stand der 70er Jahre. Der anderswo einsetzende Schub der neu hinzugekommenen High-Power Flieger blieb aus. Gleichzeitig ließ das Interesse am Modellflug insgesamt nach und neue Technologien wie Computer und Multimedia interessierten die Jugendlichen mehr als das etwas angestaubt wirkende Modellflugterrain.
Ein Aufschwung des Hobby kam dann Ende der 90er Jahre mit dem Internet. Ein Meilenstein stellt die Eröffnung des Modellraketen-Forums im Jahr 1998 dar, wo es für Raketenflieger erstmals die Möglichkeit gab, sich im Web kennenzulernen. Im Forum entstand auch die Aktion Modellraketen 2000 und damit die ersten Bestrebungen, die Gesetzeslage in Deutschland aufzubrechen und zu verändern. Inzwischen ist aus der Aktion Modellraketen die Interessengemeinschaft Modellraketen hervorgegangen, die als Dachverein an der Umsetzung arbeitet.
Modellraketen Forum im Jahre 1998
Durch die verbesserte Kommunikation konnten Einsteiger im Web schnell Kontakte knüpfen oder sich bei Händlern über ihr Angebot informieren und online bestellen. Die neu entstandenen Onlinehändler sorgten bald schon für ein vielfältiges und verfügbares Versandangebot, das wiederum neue Interessten für das Hobby begeisterte.
Wie die Zukunft des Modellraketenfluges aussieht, bleibt daher spannend!
Text und Fotos: Oliver Missbach, 24.3.04
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